Welche Ausprägungen der Onlinesucht gibt es? Wie verbreitet ist diese Erkrankung? Gibt es Hinweise auf Ursachen? Welche Organisationen forschen zu diesem Thema? Eine Auswahl an Studien.

Sucht Schweiz (2010)

Die Organisation „Sucht Schweiz“ fasste 2010 die wichtigsten Punkte zum Thema Online-Sucht kurz zusammen. Die Nutzung des Internets gilt im Beruflichen wie auch im Privaten mittlerweile als selbstverständlich. Bestimmte Angebote jedoch binden Nutzerinnen und Nutzer sehr stark an sich. Dies führt zu problematischen Verhalten im psychosozialen Bereich und weiter zum Kontrollverlust. Dies kann beim Spielen von Online Games, bei Anwendungen zur Online Kommunikation oder beim Konsum von Sex und Pornoseiten der Fall werden. In der Schweiz nutzen rund 65% der Jugendlichen über 13 Jahren regelmässig das Internet. 70000 Personen sind onlinesüchtig. Dabei aggregieren sich verschiedene Probleme, besonders weil ein regulatives Verhalten bei Jugendlichen noch zu wenig ausgeprägt ist:

  • Vernachlässigung anderer Lebensbereiche (Beziehungen, Schule, Beruf)
  • Körperliche Gesundheit (Schlafstörungen, ungesunde Haltung)

Hierbei muss aber beachtet werden, dass die Nutzungszeit kein klarer Anhaltspunkt ist für eine Onlinesucht. Nicht jede exzessive Nutzung ist eine Abhängigkeit. In der Entwicklung vieler Jugendlicher gibt es Phasen.
Das Ziel einer Prävention sollte der kontrollierte Umgang mit den Medien sein. Dies gilt aber nicht nur für Adoleszente sondern auch für die Erwachsenen. Zudem zeigen unaufgeregte Gespräche die besten Ergebnisse. Durchaus dürfen aber auch Regeln zur Internetnutzung aufgestellt werden und Kinder dazu aufgefordert werden fixe internetfreie Zeit einzuhalten. Zur Unterstützung der Regeln können auch technische Regulierungen eingesetzt werden.

shop.addictionsuisse.ch/de/substanzen-und-verhalten/140-im-fokus-onlinesucht.html

PINTA – Prävalenz der Internetabhängigkeit (2011)

Die Uni Lübeck möchte mit der PINTA (Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) der Internetabhängigkeit)-Studie, die ersten repräsentativen Forschungsergebnisse in Deutschland liefern. Die Stichprobe bestand aus 15’024 Personen im Alter von 14-64 Jahren. Es wurde nicht nur übers Festnetz befragt sondern auch über Mobiletelefone, was die Aussagekraft verstärkt. Sie kommen zum Schluss, dass rund 1.0-1.5% der Bevölkerung von einer Internetsucht betroffen sind. In der Altersgruppe der 14-16 Jährigen sind es 4%. Mädchen und Knaben sind besonders auffällig in der Nutzung von sozialen Netzwerken, wobei die männlichen Befragten oft zusätzlich Onlinegames spielen. Ein hoher Konsum von Medien muss aber nicht eine Abhängigkeit/Sucht bedeuten.

www.bmg.bund.de/ministerium/ressortforschung/krankheitsvermeidung-und-bekaempfung/drogen-und-sucht/epidemiologie-des-suchtmittelkonsums/praevalenz-der-internetabhaengigkeit-pinta.html

 

EU.NET.ADB – Studie über das Internetsuchtverhalten von europäischen Jugendlichen (2012)

Die „EU.NET.ADB“ Studie wurde in Deutschland, Griechenland, Island, Spanien, Polen, Rumänien und den Niederlanden von einem Forschungsgremium 2012 erhoben. In der Studie wird Internetsucht als dysfunktionales Verhaltensmuster definiert, dass zu Kontrollverlust, Vernachlässigung verschiedener Lebensbereiche, sozialer Isolation und gesundheitlicher Beeinträchtigung führen kann. Es wird das Ziel verfolgt über folgende Themen Auskunft zu geben:

  • Prävalenz und Risikofaktoren
  • Entwicklung von Internetsucht
  • Sensibilisierung der Öffentlichkeit
  • Verbesserung der Wissensgrundlage für die Präventionsarbeit

In einer Stichprobe von 13’000 Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren zeigten 1.2% ein Internetsuchtverhalten. 13% gehören zu einer Risikogruppe. Eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein dysfunktionales Verhaltensmuster zeigten männliche, ältere Jugendliche mit Eltern niedriger Bildungsschichten. Jedoch nutzt die Mehrheit der befragten Jugendlichen das Internet zur Recherchezwecken für Hausaufgaben. Einige Zahlen aus der Studie:

63% aller Befragten kommunizieren online mit Fremden, 28% haben sich auch schon mit Leuten aus dem Netz getroffen, 58% waren bereit mit sexuellen Bildern konfrontiert und 22% haben Cybermobbing-Erfahrung. Rund 92% sind Mitglied eines sozialen Netzwerks (Social Media). 40% sind dabei mehr als 2h pro Schultag in diesen Netzwerken unterwegs. 62% spielen irgendein Computerspiel. Aus den Befragten spielen 1.6% suchtartig. Personen mit kompensatorischem Verhalten beispielsweise Leute die Selbstbestätigung im Netz suchen sind gefährdeter für ein dysfunktionales Internetverhalten.

Obwohl es viele Risiken gibt, haben nur die wenigsten tatsächlichen Schaden erfahren. Mehrheitlich wird das Internet genutzt um Wissensdurst und gesunde Neugierde zu befriedigen. Fragen werden beantwortet, es werden allerhand News gelesen, Kontakte werden geknüpft und gepflegt und natürlich macht es viel Spass.

Die Studie zeigt aber auch, dass Jugendliche Strategien entwickeln um ihr Internetnutzung zu steuern. Adaptiv sind dies Selbstkontrollmechanismen, Priorisierung von Möglichkeiten und das Ausprobieren von Offlinealternativen. Die maladaptive Strategieentwicklung ist aber auch möglich. Dabei wird die Onlineaktivität als normal dargestellt und oftmals zu legitimieren versucht. Mangelnde elterliche Kontrolle fordert diese Art von Strategiebildung.

Vier Typen kristallisieren sich aus den Ergebnissen:

  • „im Netz gefangen“: Es besteht zwar der Drang nach Offlineerfahrungen, doch durch mangelnde soziale Kompetenzen wird man ausgeschlossen. Daraus resultiert exzessive Internetnutzung und eine negative Überbeanspruchung.
  • „alles auf die Reihe bekommen“: Grosser Drang nach Offlineerfahrungen und gute soziale Kompetenzen und eine ausgeglichene Online-Offlinepräsenz
  • „erfolgreich selbstregulieren“: In einem Kreis intensiver Internetnutzung, aber kann sich gut selbstregulieren.
  • „Zeit totschlagen“: Es besteht keinen Drang nach Offlineerfahrungen. Das Offlineleben scheint langweilig zu sein. Man hat fehlende Interessen und hält sich online auf gegen die Langeweile.

www.unimedizin-mainz.de/fileadmin/kliniken/verhalten/Dokumente/EU_NET_ADB_Broschuere_final.pdf

 

EXIF – Exzessive Internetnutzung in Familien (2012)

In Deutschland wurden 1744 Familien zum Internetverhalten befragt. Im Zentrum standen 14-17 Jährige und je ein Elternteil. Erfolgreiche Regulierung der Computer und Internetnutzung wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst: Sozialstatus, Geräteausstattung, Medienerziehung, elterliche Medienkompetenz sowie Funktionalität der Familie. Die Studie betont aber, dass Suchtverhalten in allen Milieus vorkommt. Das Risiko sei aber in schwächer gestellten Familien und in Ein-Eltern-Familien grösser. Das zeigen auch die Ergebnisse. Süchtige zeigen Unzufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen besonders in der eigenen Familie. Das besondere der EXIF-Studie ist, dass nicht nur nach Suchtkriterien orientiert analysiert worden ist.

Die Situation wird verschärft durch Erziehungsmassnahmen die ungeeignet sind. Elterliche Unsicherheiten bei „Risiken im Netz“ führen zu einer mangelnden Medienerziehung. Komplette Abstinenz wird als Mittel bei anderen psychoaktiven Substanzen eingesetzt, bei einer suchtartigen Computer- und Internetnutzung wirkt dies kontraproduktiv. Das heisst der Entzug des Geräts oder die Sperrung des Zugangs ist wirkungslos.

Die Studie zeigt ausserdem, dass bei der Abgabe der Geräte zu wenig Interesse gezeigt wird, was die Kinder darauf tun und dass besonders die Begleitung kaum vorhanden ist. Zudem übernehmen die Heranwachsenden die Art und Weise der Eltern bei der Nutzung von Medien, was oft vergessen geht. Die Vorbildfunktion spielt eine enorme Rolle bei der Medienerziehung. Dadurch resultiert, dass sich starker Bedarf zeigt bei der medienerzieherischen Aufklärung und das generell in Familien aus allen sozialen Schichten.

Es wird geraten, Kinder im autoritativen Erziehungsstil (Freiheit in Grenzen) im Gegensatz zu autoritären (Grenzen ohne Freiheit) und Laissez-faire (Freiheit ohne Grenzen). Ausserdem braucht es nebst dem Elternhaus eine gute und nahe Zusammenarbeit zwischen Lehrkörpern, Eltern und den Kindern. Bei Abmachungen müssen alle Beteiligten gleichermassen inkludiert werden.

www.bmfsfj.de/blob/93708/efad06eec43f5da5df11fa113ff47ff9/exif-exzessive-internetnutzung-in-familien-data.pdf

 

Handygebrauch der Schweizer Jugend (2012)

Gregor Waller und Daniel Süss (ZHAW) haben in einer umfangreichen Studie zur Mediennutzung von Schweizer Jugendlichen rund 1000 Adoleszente zwischen 14 und 19 Jahren befragt. Dabei stand besonders das Mobiltelefon im Fokus. Laut den Forschern gibt es vier unterschiedliche Typen: Nichtnutzer, zurückhaltende Nutzer, engagierte Nutzer und Verhaltenssüchtige. Die zentrale Frage ob diagnostische Kriterien der Verhaltenssucht, die man aus dem Bereich Glücksspielsucht, Internetsucht und Videogamesucht kennt, auf die Handynutzung übertragen werden kann, konnte dabei mit „Ja“ beantwortet werden.

98% der Schweizer Jugend besitzen ein Handy. 5% offenbarten ein handysüchtiges Verhalten. Die Studie zeigte ausserdem, dass jugendliche Handysucht einhergeht mit schwierigen Eltern-Kind Beziehungen, Impulsivität (Gefühlsausbrüchen) und extravertiert-aktivem Verhalten (hektischer Lebensstil). Das Medienverhalten unterscheidet sich ebenfalls stark von anderen Nutzertypen. Es ist mehrheitlich audiovisuelles Konsumverhalten (TV, Videos, Kino, Internet und Games). Die Betroffenen berichten auch von Rückfallerscheinungen und von negativen Konsequenzen oder Effekten (bspw.: Schlafmangel). Verständlicherweise schätzen sie auch das Risiko viel kleiner ein als die restlichen 95%, die kein auffälliges Verhalten zeigen.

Die Ergebnisse zeugen auch davon, dass Verhaltenssüchtige besser mit gleichaltrigen Jugendlichen verknüpft sind und sich unabhängiger fühlen. Hervorzuheben ist zudem, dass es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gab. Präventiv wirken eine positive und stabile Beziehung zu Bezugspersonen (Eltern, Verwandte, Lehrpersonen). Aber auch technische Einschränkungen, wie die Limitierung von mobilen Daten können helfen.

www.zhaw.ch/storage/psychologie/upload/forschung/medienpsychologie/ZHAW_Handygebrauch_Schweizer_Jugend_2012.pdf