Wenn es um die Nutzung digitaler Medien geht, wird den Kindern gerne viel Kompetenz attestiert. Wer mit Kindern und Jugendliche am PC oder mit dem Smartphone arbeitet, muss feststellen, dass dem nicht einfach so ist. Die Jungen sind nicht per se fit. Tempo und  Sorglosigkeit der Mediennutzung werden fälschlicherweise als Kompetenz interpretiert. 

Von Digital Natives und Digital Imigrants

Kinder und Jugendliche sind fit. Eine verbreitete Meinung, wenn es um die Nutzung von Tablets und Smartphones geht. Logisch, sind die Kinder doch Digital Natives. Daher können sie gut mit digitalen Medien umgehen. Erwachsene sind dagegen Digital Immigrants. Schliesslich gab’s all die netten Geräte in deren Jugendzeit noch nicht. Ergo müssen sie sich auch alles mühsam aneignen und können mit den digitalen Medien nicht so gut umgehen.

Auch wenn in der Fachszene immer klarer wird, dass diese Unterscheidung so nicht haltbar ist1  , gehen nach wie vor viele Leute davon aus, dass Kinder und Jugendliche den Erwachsenen punkto Medienkompetenz weit voraus sind. Bei unseren Einsätzen an Primarschule und Oberstufe zeigt sich jedoch ein ganz anderes Bild. „Digital Natives“ bezeichnet nur die Generation, keinesfalls aber deren Informatik- oder Medienkompetenz. Bezüglich gewinnbringender Mediennutzung, Medienkritik und Mediengestaltung2 scheinen uns viele Erwachsene besser aufgestellt als Kinder und Jugendliche.

Warum wir uns täuschen lassen

Klar: Kinder wissen heute, dass man im Umgang mit Fremden aufpassen muss. Kinder wissen auch, dass man sich im Chat nicht beleidigen sollte. Es ist ihnen auch bekannt, dass sie nicht wahllos Bilder ins Internet laden sollten. Bei den meisten ist das aber schon alles. Woher kommt es denn, dass den Kindern solch grosse Kompetenz zugeschrieben wird? Wo lassen wir uns täuschen? Wir haben die Verhaltensweisen und die Aussagen von Eltern reflektieret und sind zu folgender Einschätzung gekommen: Es gibt bei der jugendlichen Mediennutzung Verhaltensweisen, die falsch interpretiert werden. Fünf Beispiele:

  • Tempo: Kinder nutzen Smartphones und Tablets mit einer unglaublichen Geschwindigkeit. Oft hat dies damit zu tun, dass sie einfach viel geübt haben. Doch Tempo bedeutet nicht „Medienkompetenz“. Im Gegenteil. Wir haben festgestellt, dass die Kinder einfach vieles nicht lesen. Zu anstrengend. Zudem: Sie kümmern sich oft nicht um irgendwelche Sicherheit. Wenn sie sich irgendwo anmelden, so ist ja einfach klar, dass sie ihre E-Mail-Adresse eintippen. Erwachsene kommen dagegen ins Grübeln. Soll ich? Darf ich? Gibt es Werbung? Will ich das? Das kritische Verhalten der Erwachsenen zeugt eher von Medienkompetenz.
  • Selbstverständlichkeit: Die Kinder wachsen mit diesen Geräten auf. Ein Tablet ist nichts aufregendes mehr. Es darf daher nicht erstaunen, dass sie vor diesen Geräten keine spezielle Ehrfurcht zeigen. Da sind keine Fragen, kein Staunen und auch kein vorsichtiges Erkunden. Mit Medienkompetenz hat dies jedoch noch nichts zu tun. Der Umstand kann bestenfalls zur Kompetenzbildung beitragen, wenn die Kinder schneller zu jenen Nutzungsweisen finden würden, die sie wirklich weiter bringen. Für die Mehrheit der Kinder trifft dies jedoch nicht zu.
  • Am Puls: Es scheint, als wüssten Kinder auch immer was gerade Trend ist, welche Apps und Dienste man haben muss. Sie wissen immer was neu, aktuell und trendy ist. Diese Game- und Chat-Dienste sind Erwachsenen oft fremd. Eltern kommen ins Staunen. YouNow macht vielleicht auch Angst. Diese speziellen Kenntnisse über Trends als Medienkompetenz zu deuten, geht aber klar zu weit. Dieser Kurzschluss negiert den Umstand, dass jede Szene oder Lebensphase die Kenntnis spezieller Anwendungen verlangt. Auch Erwachsene müssen laufend Neues dazu lernen: eBanking, WhatsApp, Onlinebestellungen, elektronische Steuererklärung, neue Smartphones, Smart-TV, etc. Und keiner kommt auf die Idee, Erwachsene deshalb als speziell medienkompetent zu bezeichnen. Obwohl Erwachsene dies alles den Kindern voraus haben.
  • Unabhängigkeit: Schliesslich vermag der Eindruck der vermeintlichen Medienkompetenz daher rühren, dass die Kinder mit ihren Schwierigkeiten nicht bei den Eltern oder Lehrkräften anfragen. Sie organisieren sich selbst und suchen bei Kollegen oder im Internet nach Lösungen. Wenn überhaupt. Diese Unabhängigkeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kinder und Jugendliche vieles nicht verstehen und Probleme mit Medien oft nicht oder unzureichend lösen.

Natürlich treffen diese Beobachtungen nicht für jedes Kind gleichermassen zu. Es gibt Ausnahmen. So kann es durchaus vorkommen, dass ein Kind dank eines breiten Interesses mehr erfahren und erproben konnte. Es kann auch sein, dass der Austausch in einer Gruppe von Gleichaltrigen zu mehr Informatik- oder Medienkompetenz führen kann.

„Wenn’s mich interessiert“

Wenn Kinder oder Jugendliche bestimmte Medienkompetenzen ausgebildet haben, so hat dies nach unseren Beobachtungen meist damit zu tun, dass sie sich für etwas speziell interessieren durften. Zur Erreichung von Zielen in solchen Interessensbereichen nehmen die Kinder vieles in Kauf. Sie recherchieren, pröbeln, fragen nach, experimentieren, halten durch und lernen so neues dazu. So kommt es, dass es beispielsweise Kinder gibt, die einen eigenen Minecraft-Server betreiben. Weil sie total auf dieses Spiel abfahren, weil sie extrem interessiert sind und ihnen dieses Lernfeld von den Eltern nicht verboten wurde. Solche Beobachtungen sind bei den jährlich 17’000 besuchten Schülern aber eher selten.

Endlich enttäuscht!

Es ist gut, wenn wir uns nicht mehr täuschen lassen. Als Eltern und Pädagogen sind wir so befreit, partnerschaftlicher ins Gespräch zu gehen. Kinder und Jugendliche haben uns nicht zwingend etwas voraus. Sie kennen lediglich andere Dienste. Wir können voneinander lernen. Wir können alles etwas entspannter angehen. Unter diesen Vorzeichen und einer veränderten Haltung können wir den Kindern und Jugendlichen auch mit Rat und Tat zur Seite stehen.

 

 

  1. Ein Beispiel zur Dekonstruktion der „Netzgeneration“ finden Sie auch im Artikel „Die „Netzgeneration“. Empirische Untersuchungen zur Mediennutzung bei Jugendlichen“ aus dem „Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien.“ [2. Auflage. 2013] von Martin Ebner und Sandra Schön []
  2. Diese Aufstellung macht einen Bezug auf das Bielefelder Medienkompetenz-Modell. Eine gute Zusammenfassung dazu finden Sie in Treumann, K.P., Meister, D.M., Sander, U., Burkatzki, E., Hagedorn, J., Kämmerer, M., Strotmann, M., Wegener, C. (2007). Medienhandeln Jugendlicher. Mediennutzung & Medienkompetenz. Bielefelder Medienkompetenzmodell. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. []