Blödes Thema. Für die einen ist es mit schlechtem Gewissen verbunden. Für andere der Aufreger schlechthin: Schliesslich darf man sich als Eltern auch anders verhalten als die Kinder! Und nun?
Die Frage nach dem elterlichen Vorbild in Sachen Mediennutzung ist tatsächlich delikat. Als Eltern stehen wir konstant unter Generalverdacht: „Du machst das nicht gut …, du bist ein schlechtes Vorbild!“ Ständig werden wir kritisiert, so auch in Sachen Handy- und Internet-Nutzung. Kein Wunder also, dass viele mit einem ausgeprägten Abwehrreflex reagieren.
Voll ok!
Nun wissen wir, dass Kinder viele Verhaltensweisen über die Nachahmung lernen. Besonders wir Eltern werden kopiert. So auch unser Umgang mit digitalen Medien. Daher könnte die Fragen nach dem Vorbild trotz aller Aufreger eine Chance sein.
Wichtig: Vielleicht müssen wir uns als Eltern auch erst etwas entlasten. Es ist absolut ok, wenn wir das mit dem Vorbild nicht immer perfekt hinkriegen. Das ist normal und hat allenfalls auch erklärbare Ursachen.
- Die pausenlose Verfügbarkeit digitaler Medien ist so neu, dass wir den Versuchungen auch erst mal erliegen. Die Selbstregulation erfolgt erst später.
- Natürlich wissen wir alle, was nicht so optimal ist. Das fiese ist, dass sich gewisse Verhaltensweisen einfach einschleichen. Erst checkt man gelegentlich die Nachrichten auf dem Handy. Später auch die News. Irgendwann auch die Profile von Freunden. Und so weiter. Und plötzlich greift man regelmässig und völlig automatisiert nach dem Handy.
Dass wir immer wieder ein schlechtes Vorbild abgeben ist normal. Und deshalb kann die Auseinandersetzung mit dem eigenen Vorbild gewinnbringend sein. Ich kann profitieren und die Kinder können profitieren.
Was will ich vorleben?
Wenn wir uns die Nachlässigkeiten selbst verzeihen, so sind wir befreit, die wichtigste Frage in Angriff zu nehmen: Was will ich eigentlich vorleben? Hierzu kann es hilfreich sein zu fragen, welches Verhalten ich von den Kindern erwarte. Auch wenn sich die Mediennutzung von Kindern und Eltern unterscheiden darf: Viele Verhaltensweisen, die wir von den Kindern erwarten, wären wohl auch für uns angemessen. Mindestens macht es uns glaubwürdiger, wenn wir als Eltern vergleichbar handeln. Ein Beispiel: Wir erwarten, dass sich die Kinder bei den Hausaufgaben nicht von Medien ablenken lassen. Aber für uns ist es ok, vor dem Fernseher gleichzeitig die Mails zu prüfen?
Was wollen Sie sich auf die Fahne schreiben? Was wollen Sie vorleben? Für die meisten kann die Klärung dieser Fragen genügen. Die Veränderungen kommen automatisch. Um folgende Themen könnte es gehen:
Forschen und Erfinden
Weil Smartphones und ihre Möglichkeiten doch noch recht neu sind, ist unser Umgang damit irgendwie noch „1.0“. Wir alle müssen wohl noch herausfinden, was uns wirklich gut tut und was nicht. Es wird sich noch weisen müssen, was wirklich sinnvoll ist. Das „Medienverhalten 2.0“ muss erst noch erfunden werden. Eltern die Experimente machen können sehr gute Vorbilder sein. Es ist ok für eine gewisse Zeit auch auf dem Handy Mails zu empfangen und zu bearbeiten. Vielleicht sind wir damit aber zu oft am Handy? Ein Experiment könnte nun sein, Mails wieder ausschliesslich am PC zu beantworten. Nach diesem Muster gäbe es noch viele andere Anwendungen und Verhaltensweisen, die neu bedacht und gestaltet werden können. Vielleicht muss ich lernen gewisse Anwendungen auf dem Handy gar nicht mehr zu installieren? Möglicherweise ist es nachhaltiger, wieder eine Zeitung auf Papier zu abonnieren? Eventuell muss ich für mich handyfreie Zeiten einrichten? Vielleicht sollte ich mich um neue und attraktivere Hobbys kümmern? Kinder sollen erleben, dass sich Eltern auch um ihr eigenes Medienverhalten kümmern und dieses aktiv gestalten.
Wenn Sie etwas verändern möchten?
Viele Eltern sind vorbildlich unterwegs. Viele möchten aber trotzdem etwas ändern. Verhaltensänderungen sind leider nicht einfach. Aber es ist nicht hoffnungslos. Die Erfahrung unzähliger Eltern weist darauf hin, dass man sich keinesfalls zu viel vornehmen darf. Wer kleine Schritte macht, ist erfolgreicher. Kleine Schritte könnten beispielsweise sein:
- Ich kündige die Breaking-News-Abos und unterdrücke möglichst alle Push-Nachrichten.
- Wenn ich fernsehe, dann mach ich nicht noch was am Handy oder am Tablet.
- Mails bearbeite ich grundsätzlich nur noch am PC.
- Ich werde am Abend wieder spannende Romane lesen.
- Während des Essens stelle ich das Handy auf lautlos.
Versachlichung?
Die eigene Mediennutzung genau zu analysieren, kann helfen. So kann es heilsam sein, wenn eine App genau aufzeichnet, was ich mit dem Handy alles mache. Zu solchen Apps zählen: Moment, RealizeD oder ZenScreen für iOS. Offtime, Menthal, oder Stay Focused für Android. Diese Apps halten einem den Spiegel vor. Die Analyse zeigt, wo ich mich konkret einschränken könnte. Vielleicht wird auch klar, dass eine App vom Handy verbannt werden müsste.
Transparenz
Schliesslich ist es besser, Unzulänglichkeiten nicht zu leugnen. Kinder reagieren schlecht aufs Abstreiten oder auf Heimlichkeiten. Es ist einfacher wenn wir als Eltern auch zu diesen Schwächen stehen können: „Ja! Ich möchte auch weniger Fernsehen. Aber am Abend schaff ich das manchmal nicht mehr anders. Das ist ein beständiger Kampf.“ Diese Ehrlichkeit verstehen die Kinder und Jugendlichen.
Bilder: © Joachim Zahn, 2018