Jugendliche müssen lernen, mit Social Media umzugehen. Eine grosse Herausforderung besteht darin, nicht aufmerksamkeitsabhängig zu werden. Eine Herausforderung.
Wer sich schon mal voll auf Social Media eingelassen hat, kennt das: Gerade in den ersten Wochen, Monaten oder Jahren ist man schnell im Bann von Likes, Kommentaren und Erwähnungen der eigenen Person. Natürlich gibt das niemand gerne zu. Aber es funktioniert. Wir wollen Aufmerksamkeit. Wir brauchen Aufmerksamkeit.
Aufmerksamkeit und Neurochemie
Wie es funktioniert? Darüber lassen sich ganze Bücher verfassen. Bereits Georg Frank hat in seinem Buch „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ von 1998 festgehalten: „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen.“ Noch spezifischer Beschrieben ist das Phänomen in „The Attention Exonomy“ von Davenport und Beck (2001). Auch Oliver Bilke-Hentsch, Kinder- und Jugendpsychiater, bestätigt bei seinen unzähligen Referaten die heftige Wirkung der neurochemischen Prozesse, die bei der Nutzung von Social Media angestossen werden. Schon die Erwartung von Likes kann eine heftige Dopaminausschüttung bewirken.
Die Aufmerksamkeitsindustrie
Die beschriebenen Mechanismen sind mit Social Media gut bedient. Facebook, Tik Tok und Snapchat können zur Verbesserung der entsprechenden Wirkung auf sehr viele Daten zurückgreifen. Sie kennen sich damit aus, was generell gut funktioniert. Beispielsweise die schnelle Belohnung mit Hinweisen auf Likes. Push lässt grüssen.
Dank Algorithmen wissen Tech-Giganten aber auch sehr genau, was die Einzelnen interessiert. Beispielsweise ist ihnen bekannt, welche Personen und Posts jedem von uns wichtig sind.
Kreativität? Langweilig.
An und für sich spricht nichts dagegen, sich gelegentlich dem Rausch von Social Media auszusetzen. In der Praxis beobachten wir jedoch immer wieder, dass neben den Reizen von Instagram, Snapchat und Tik Tok viele andere Tätigkeiten keine Attraktivität mehr haben. Mathe büffeln? Das geht nur noch mit Zwang. Etwas Kreatives tun? Zu langweilig. Training? Hat keinen Nährwert.
Das muss man lernen…
Die Herausforderung ist klar: Man muss lernen, mit dem Aufmerksamkeitsangebot von Social Media umzugehen. Man muss lernen, sich abzugrenzen und sich für Tätigkeiten zu motivieren, die nicht so schnell belohnen. Das braucht Zeit. Auf dem Weg zum Ziel wird man mehrmals scheitern. Da im Jugendalter noch so viel anderes zu lernen ist, kann es also gut sein, dass sich der Erfolg auch erst in der Adoleszenz einstellt.
Jugendliche begleiten
Als Eltern haben wir wenig Möglichkeiten, zum Gelingen beizutragen. Hinzu kommt: Wenn wir die Sache zu harsch oder aufgeregt angehen, wirkt sich das allenfalls sogar kontraproduktiv aus. Folgendes hat sich jedoch in vielen Familien bewährt:
- Immer wieder zeigt sich: Wenn sich Eltern diesen Phänomenen selber stellen und selber eine kritische Reflexion ihres Verhaltens pflegen, so wirkt das im Sinne eines Vorbildes sehr wohl. Auch wenn das die Jugendlichen nie zugeben würden.
- Machen Sie vor, wie Abgrenzung funktioniert: Kein Facebook auf dem Handy, kein Mail auf dem Handy, aus Whatsapp-Gruppen austreten, Benachrichtigungen deaktivieren, etc. Besser sind konzentrierte Sessions einmal am Tag.
- Zeigen Sie auf, dass es sich lohnen kann, über sich selbst hinaus zu wachsen. Bringen Sie sich selbst etwas bei. Ob es sich dabei um eine neue Sprache, eine Sportart oder ein Musikinstrument handelt, spielt eigentlich keine Rolle.
- Die Studie „Generation Smartphone“ zeigte auf, dass die meisten Jugendlichen irgendwann selbst merken, dass Chat und Social Media stressen. Warten Sie auf den Moment, wo seitens der Tochter oder des Sohnes entsprechende Einsichten formuliert werden.
- In Momenten der Einsicht sind pauschale Ansagen zu vermeiden. Fragen Sie stattdessen nach: „Wie fühlt sich das denn an?“ „Wie geht es deinen Freunden damit?“ „Fürchtest du Nachteile?“ „Hast du schon mal versucht, etwas zu verändern?“