Ein Musikstück etwas langsamer laufen lassen, sich dazu bewegen und das Ganze aufnehmen. Danach schnell laufen lassen: Der selber produzierte Music-Clip, das Musical, sieht so schnell mal toll aus. Etwas Üben und schon kann man von sich coole Clips veröffentlichen. Eltern sind darob schnell verunsichert oder in Panik. 

Über WhatsApp und Snapchat wird diese Tage viel geschrieben. Snap ist eben dabei zum Hype zu werden. Im Schatten dieses Rummels geniesst jedoch eine neue Anwendung besondere Aufmerksamkeit von Kindern und Jugendlichen: musical.ly. Bei unseren Präventions-Lektionen an den Schulen beobachten wir, dass an gewissen Orten über 50% der Mädchen einen Musicaly-Account besitzen. Bei den Jungen ist die Anwendung noch nicht so verbreitet.

 

So funktioniert’s

Wer die App installiert hat, kann sich mit einem bestehenden Facebook- oder Twitter-Account anmelden. Wer vor hat, die eigenen Videos gleich über diese älteren Social Media Dienste zu publizieren, wird mit Vorteil diese Anmeldung wählen. Wer etwas vorsichtiger ist, kann die Registrierung über eine Mail-Adresse vornehmen.

Idealerweise schaut man sich auch bei diesem Dienst erst etwas um. Über die Suchfunktion kann man Videos anderer Nutzerinnen und Nutzer, sogenannten „Musern“ betrachten. In kurzen Videoclips sieht man, wie sie sich zu bekannten Musikstücken bewegen und zum Text die Lippen bewegen. Trotz schlechter Ausleuchtung und privaten Wohnungen im Hintergrund sehen die Clips schnell sehr professionell aus.

Ein solches Video ist auch schnell selbst gemacht. Man sucht sich ein Musikstück aus und entscheidet, wie schnell man die Musik abspielen lassen möchte. So kann man sich während der Aufnahme mit dem Handy synchron zum langsamer gespielten Musikstück bewegen. Im Anschluss wird das Video schnell abgespielt und es entsteht der typische „Music-Clip-Effekt“, wie er bei vielen HipHop Videos typisch ist. Der Clip lässt sich einfach lokal speichern oder aber veröffentlichen.

 

Identitätsarbeit vs. elterliche Panik

Screenshot_2016-05-09-16-54-30Die Anwendung wird fast ausschliesslich von Mädchen genutzt. Und sie wird oft auch heimlich genutzt. Denn: Bei Entdeckung reagieren viele Eltern harsch! Da ist viel Panik ob der möglichen Konsequenzen bei einer Veröffentlichung von Filmchen dieser Art. „Geht gar nicht! Man sieht ihr Gesicht und diese Tanzfilme können doch für alles missbraucht werden!“ Dies eine häufig gehörte Reaktion.

Vom entwicklungspsychologischen und dem medienpädagogischen Standpunkt her gesehen tun die Mädchen etwas völlig normales. Sie leisten Identitätsentwicklung unter Anwendung von Medien. Sie tun nichts anderes als viele Eltern früher noch mit den Selfies aus den Fotoautomaten taten. Oder was junge Eltern mit den ersten Handy- und Videokameras taten. Sie inszenieren sich in unterschiedlichen Outfits und Bewegungen, zeichnen dies auf und betrachten es anschliessend. Diese Suche leisten sie logischerweise im Verbund mit Gleichaltrigen, welche dieselbe Lebensphase durchleben.

 

Gesprächige sind im Vorteil

Die jugendliche Aufgabe der Identitätsentwicklung steht also in krassem Widerspruch zum elterlichen Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit. Ein Konflikt der sich speziell bei dieser App nicht einfach ausräumen lässt. Es wäre praktisch sinnlos, diese Videos nicht zu publizieren. Das Musik-Video ohne Gesicht aufzuzeichnen wäre lächerlich. Was können Eltern tun?

Für Eltern, die mit ihren Kindern regelmässig und unaufgeregt im Gespräch stehen, besteht die Möglichkeit, die Musicals vor der Veröffentlichung zu reflektieren. Tatsächlich sind Tanzfilme ja etwas besonderes. Sie können daher schnell zu Lachern führen. Spot durch Kollegen ist allenfalls nicht weit. Daher kann man dem Kind anbieten, Videos gemeinsam auf dieses Risiko hin zu prüfen. Die gemeinsame Erörterung ist das Wichtigste im Zusammenhang mit der Veröffentlichung. Wer die möglichen Probleme erwogen hat, ist auf Misstöne vorbereitet. In der Regel gilt auch: Was die Eltern für „OK“ erachten, darf getrost ins Netz geladen werden.

 

Lernen dank Interessenkonflikten

Wo dieses Miteinander noch nicht möglich ist, könnten Eltern und Kinder mit Musicaly lernen, dass solche Interessenkonflikte Anlässe für Medienbildung und Beziehungszeit sein könnten. Denn: Gerade in der Meinungsverschiedenheit liegt eine Chance fürs Lernen bezüglich Medien- und Sozialkompetenz. Voraussetzung ist, dass Sie sich nicht einfach aufregen, sondern den Kindern zuhören und deren Argumente auch mal akzeptieren. Es muss möglich sein, dass Kompromisse ausgehandelt werden. Kinder müssen ihrerseits daran interessiert sein, „ihr Ding“ mal nicht heimlich zu machen, sondern mit den Eltern auszuhandeln. So können Sie zusammen beraten.

  • Lassen Sie sich vom Kind zeigen, wie Musicaly funktioniert.
  • Schauen Sie in andere Profile rein.
  • Erstellen Sie selbst mal ein Musical.
  • Machen Sie sich mit den Sicherheitseinstellungen vertraut.
  • Überlegen Sie gemeinsam, wie man ein besonders gutes Video dreht.
  • Erörtern Sie, welche Gefahren es bei einer Veröffentlichung geben könnte.
  • Stellen Sie zusammen ein erstes Video online.

So lernen Sie und Ihr Kind Wichtiges dazu.

 

Linktipp

Möchten Sie sich gleich von einer Youtuberin und einer Mutter erklären lassen, wie das geht? Ein zeitgemässes Tutorial von Baby Ariel finden Sie auf Youtube: