Die neue JAMESfocus-Studie zeigt: Jugendliche stossen im Netz oft auf Hassrede. Und während früher gerne von „fremden Gruppen, die das tun“ ausgegangen wurde, sind es heute immer öfter Kinder oder Jugendliche aus dem direkten Umfeld, die Hassbotschaften verbreiten. Als Eltern sollten wir Einfluss nehmen. Schulische Programme können unterstützen.

Im Rahmen der JAMES-Studie von 2020 wurden Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren nach den Phänomenen Fake News und Hate Speech befragt. Die Kombination bietet sich an, da Desinformation und Hassrede oft nahe beieinander liegen. Über gezielte Falschaussagen wird Hass geschürt. Hass wiederum kann zu einem problematischen Umgang mit Fakten führen.
Die Ergebnisse lassen aufhorchen: „Insgesamt sind es also 48%, die mindestens mehrmals pro Woche auf das Phänomen stossen.“ Insbesondere wenn man weitere Studien oder Ausschnitte aus der JAMES Studie berücksichtigt, so wird klar, dass auch Mitschüler:innen betroffen sind. Und schliesslich kann noch nicht ausgeschlossen werden, dass der gewalttätige Umgang unter Menschen noch mehr Einlass in den Alltag der Jugendlichen finden wird. Schliesslich zeigen doch auch viele der Befragten für die Hasskommentare Verständnis (47%), sehen sie als unterhaltsam (39%) oder befinden sie für interessant (34%).

Hassrede ist Alltag

Mit den neuen Zahlen bestätigt sich die Beobachtung, wonach es immer weniger um eine Erscheinung geht, die „vielleicht mal auf irgend einem Erwachsenen-Netzwerk“ festzustellen ist. Immer öfter begegnen uns im Rahmen unserer Präventionsarbeit an Schulen problematische Chats oder Social Media-Auszüge. In Sticker-Battles geht es rassistisch zur Sache. Es werden Bilder mit sexistischen Aussagen herumgereicht. Auch gegen Mitschüler:innen. Mit abschätzigen Kommentaren wird eine mögliche sexuelle Orientierung unterstellt und als etwas Negatives abgestempelt. Was die Fokus-Studie nun bestätigt: Oft wird auch das Aussehen mit äusserst beleidigenden Aussagen kommentiert.
Häufig hören wir von Schüler:innen, die sich nicht mehr trauen, etwas zu posten. Dies ist problematisch, da es heute dazugehört, auch eine gewisse „Online-Identität“ zu entwickeln. Der Umgang mit Chat und Social Media muss gelernt werden, das gehört zu den Entwicklungsaufgaben.
Kurz: Hate Speech belastet den Alltag der Heranwachsenden. Und schliesslich ist zu befürchten, dass das Phänomen längerfristig gesellschaftlichen und politischen Diskursen Schaden zufügen wird.

Was ist allgemein zu tun?

Mit dem Lehrplan21 wurde an den Schweizer Schulen der Modullehrplan Medien und Informatik eingeführt. Damit leisten die Schulen heute schon einen grossen Beitrag im Bereich der Medienkompetenzvermittlung. Dies ist ein wichtiger Beitrag in der Bearbeitung dieses problematischen Phänomens. Es ist jedoch zu konstatieren, dass weitere Anstrengungen unternommen werden müssen. Solange internationale oder nationale Medienhäuser von Empörung und Hass im Netz finanziell profitieren, wird sich wenig verändern. In diesem Sinne bedarf es auch politischer Anstrengungen, Medienhäuser und Social Media-Anbieter in die Verantwortung zu nehmen. Allenfalls auch über Abgaben, welche für Prävention und Opferhilfe verwendet werden können.
Schliesslich ist festzustellen, dass es in diesem Zusammenhang auch um soziale und ethische Fragestellungen geht. zischtig.ch hat sich in den letzten Jahren auf solche Aspekte spezialisiert. Der Verein ist seit letztem Winter mit entsprechenden Projekten und Unterrichtseinheiten befasst. Beispielsweise wird in Zusammenarbeit mit der „Stiftung Erziehung zur Toleranz“ und mit Unterstützung der Fachstelle für Rassismusbekämpfung eine Lernplattform für Schulen zum Thema Hate Speech entwickelt. Ferner ist das Thema im aktuellen Programm smart@phone für Oberstufen und Berufsschulen integriert.

Was können Eltern tun?

Es würde zu weit führen, in einem einzigen Artikel eine umfassende und für alle Situationen passende Antwort zu geben. Daher werden wird das Thema auf dieser Seite in mehreren Artikeln beleuchtet. Fürs erste ein paar grundlegende Gedanken:

  • Das Netz ist voller beleidigender und verachtender Kommentare. Man braucht nur auf YouTube, TikTok oder eine News-Seite zu gehen, um Hassrede zu beobachten. Machen Sie auch Ihre Beobachtungen zum Thema. Kinder nehmen wahr, wenn Sie sich gegen rassistische, sexistische oder andere abwertende Kommentare stellen.
  • Wenn es um Hassbotschaften im Umfeld der Kinder geht, werden folgende Unterscheidungen und Haltungen wichtig: Ist das jetzt ausgewachsene Hassrede, vielleicht auch Mobbing? Geht es darum Vorurteile zu verbreiten? Oder ist es ein kindlicher Versuch, Aufmerksamkeit zu erlangen? Das Verbotene zu wagen? Aufgrund der Beobachtungen von zischtig.ch muss davon ausgegangen werden, dass die meisten Kinder und Jugendlichen an einem Punkt in ihrer Entwicklung irgendwann einmal andere per Chat oder Social Media heruntermachen, beleidigen, dissen und auch verletzen. Das heisst im Gegenzug auch, dass die meisten Kinder einmal beleidigt, gedisst oder blöd angemacht werden. Bei ersten Vorkommnissen muss das Problem als Gelegenheit gesehen werden „Orientierung“ zu geben. Dem verletzten Kind ist anwaltschaftliche Unterstützung zu zeigen. Den bloss zuschauenden Jugendlichen ist zu erklären, dass solche Hassbotschaften nicht ok sind und das duldende Zuschauen eben so verwerflich ist. Den Täter:innen ist ganz klar zu vermitteln, dass das sofort stoppen muss.
  • Nehmen Sie ferne und nahe Vorfälle wahr, um über Grundrechte zu sprechen. Alle Menschen haben ein Grundrecht auf eine Achtung ihrer Ehre. Alle Menschen haben ein Grundrecht auf eine Privatsphäre, etc.
  • Von Hassrede betroffene Kinder und Jugendliche schämen sich oft. Es ist daher schwierig für sie, sich an Erwachsene zu wenden. Gross ist die Angst, dass sich die Eltern aufregen, dass sie gleich die anderen Eltern anrufen … kurz, dass es jetzt wirklich schwierig wird. Darum: Bieten Sie dem Kind einen unaufgeregten Umgang mit dem Thema an.