Wenn Kinder und Jugendliche das Handy nicht lassen können, so liegt das nicht nur an der geringen Selbstkontrolle. Apps werden so programmiert, dass Menschen möglichst lange „on“ sind. Hinweise auf eine fiese Branche.

Die meisten Erwachsenen können hierzu eigene Erfahrungen einbringen: „Wenn ich den Ton einer eingehenden e-Mail höre, dann muss ich einfach gucken!“ Natürlich geht es hier nicht um ein süchtig-machendes Videospiel. Aber die Mail müsste ja auch nicht gleich gelesen werden. „Die Zahl der Mitteilungen im runden Kreis bringt mich einfach dazu, die App zu starten und nachzusehen.“ Oder: „Wenn ich was gepostet habe, so muss ich immer wieder aktualisieren, um nachzuschauen, ob das jemand geliked hat. Ich weiss, dass das peinlich ist. Aber ich kann nicht anders.“
Solche Berichte lassen sich gut mit bewusst programmierten „Tricks“ in Verbindung bringen. Tricks, die dazu führen, dass wir öfter und länger online sind als uns lieb ist.

Es geht ums Soziale

Viele dieser Programmierungen nutzen urmenschliches Bestreben aus: Wir wollen Anerkennung (Belohnung) und wir wollen wissen was läuft (Beziehungskontrolle). Ein Blick auf Snapchat zeigt, wie solche psychologischen Bedürfnisse gebraucht oder eben missbraucht werden. Wenn sich zwei Menschen auf Snapchat täglich ein Bild zusenden, so erhalten sie nach drei Tagen ein „Flämmchen“. Und wenn sie dran bleiben, so erscheint neben den Flammen die Anzahl Tage, an denen sie regelmässigen Kontakt hatten. Man spricht von „Snap-Days“. Lässt man einen Tag aus, verschwindet das Flammen-Symbol wieder. Was simpel daher kommt, ist ein mächtiger Trick um Kinder und Jugendliche bei Snapchat zu halten. Diese kleinen Zeichen der Belohnung und der Freundschaft werden für die jungen Nutzer*innen so wichtig, dass sie ihre Zugangsdaten bei drohenden Offline-Tagen gar einer Freundin anvertrauen. Diese kann jetzt stellvertretend snappen und die Flämmchen am Leben halten.

Mit Spionagedaten

Solche Tricks werden immer öfter auch mit den gesammelten Benutzerdaten verbunden. Youtube bietet also nicht bloss einladende Mitteilungen über Neuerscheinungen. Einmal online wird meist Autoplay gespielt. Und was im Autoplay kommt, wurde auf dem Hintergrund einer extremen Nutzer*innen-Kenntnis zusammengestellt. Da sich Youtube aus Werbeeinnahmen finanziert, liegt es auf der Hand, dass es nicht nur um einen netten Service geht. Kinder und Jugendliche sollen möglichst lange online sein. So erhöht sich auch die Dauer, während der sie Werbung sehen. Und es erhöht die Chance, dass sie auch mal auf die Werbung klicken.
Mit solchen und ähnlichen Tricks arbeiten natürlich auch Netflix, Newsportale und andere Socialmedia Netzwerke.

Wirkprinzipien

Im Wesentlichen werden starke, psychische Bedürfnisse des Menschen getriggert:

  • Neugierde wird geweckt
  • sich handelnd erfahren
  • Belohnung wird in Aussicht gestellt
  • gelegentlich wird belohnt
  • es wird gesteigert
  • Aufmerksamkeit wird in Aussicht gestellt
  • schöne oder aufregende Gefühle weden in Aussicht gestellt
  • Gruppenzugehörigkeit wird angeboten
  • Gruppenzugehörigkeit wird sichtbar gemacht
  • Rausch wird erfahrbar gemacht

Mit einer riesigen Menge an Daten und mit Unterstützung von Psycholog*innen lassen sich nun wirksame Zeichen, Techniken und Abläufe programmieren.

Aufgepasst!

Viele der aktuell von Kindern und Jugendlichen genutzten Apps beinhalten Tricks, die auch schon als süchtig-machend bezeichnet wurden. Hier eine unvollständige Liste:

  • die roten Zähler zu den Likes/Mitteilungen
  • Push-Benachrichtigungen
  • Like Buttons
  • die Anzeige von Belohnungen
  • die Anzeige von Levels
  • Auto-Play-Funktionen
  • personalisierte Empfehlungen
  • die Push-Bewegung für die Aktualisierung
  • endloses Scrollen


Fazit:

Wenn sich selbst Erwachsene immer wieder verführen lassen, so ist klar, dass Kinder Schutz brauchen. Diese Tricks sind ein Grund dafür, weshalb es sich eben doch lohnt, mit eigenen Geräten, Social-Media Anwendungen und Games zuzuwarten. Und wenn Kinder solche Apps nutzen dürfen, so brauchen sie uns Eltern um Limiten zu definieren und diese auch umzusetzen. Last but not least: Kinder und Jugendliche brauchen eine altersgerechte Aufklärung und Unterstützung in der Entwicklung eigener Widerstandskräfte. Wie das geht, wird in einem späteren Artikel dargelegt.

Linktipp

Bei den Recherchen für diesen Artikel ist uns ein Text von Jan-Keno Janssen und Sylvester Tremmel im CT aufgefallen: „Die Psycho-Tricks der App-Entwickler“