Elternabende sind ein heikles Geschäft geworden. Darf ich bezüglicher Mediennutzung noch zur Vorsicht raten? Oder werde ich gleich als ewiggestriger Kulturpessimist abgestempelt? Seit meine Schläfen ergrauen, ist der Verdacht immer schneller im Raum. Nur selten ausgesprochen. Aber die Mienen in den Reihen der zuhörenden Väter und Mütter sprechen Bände.

Ein Fan

Ich habe daher wieder begonnen, zu zeigen, dass ich äusserst medienaffin bin. Ich kommuniziere mit meinen Liebsten über die aktuellsten Social-Media-Kanäle und mit den neuesten Chatdiensten. Ich möchte die vielen Apps mit ihren tollen Möglichkeiten nie mehr hergeben. Wenn ich mich beruflich mit der kindlichen Mediennutzung befasse, geht es mir primär um eine gelingende Mediennutzung. Dazu gehört logischerweise auch, dass die unschönen Seiten der Mediennutzug benannt und gebannt werden. Bin ich wegen dieses letzten Satzes ein Kulturpessimist? Ein „Medienschlechtmacher“?

Die Angst …

Natürlich könnte ich jetzt darüber nachdenken, dass die Eltern, die jeweils ein abschätziges Gesicht machen, lediglich Angst vor der Kritik haben. „Überführt! Dein Kind guckt zu viel Youtube!“ Kann sein. Vor dem Hintergrund der geführten Gespräche macht dieses Gefühl bei den Zuhörenden nur einen Teil aus. Wahrscheinlicher ist, dass die Väter und Mütter von derselben Angst geleitet sind. Die Angst im Abseits zu stehen. „Wenn doch alle ihre Kinder länger fernsehen lassen, da muss ich doch nachziehen!?“ Ausserdem hat man eine erfolgreiche Familie zu sein: „Unser Sohn hat das mit dem Gamen ganz toll im Griff …“ Schliesslich scheint die digitale Euphorie des letzten Jahrzehnts vielen in Fleisch und Blut übergegangen zu sein: „Es ist total wichtig, dass sich die Kinder mit all dem digitalen Kram gut auskennen!“ Wer nicht mitmacht ist rückständig. Und das ist doch ganz schlecht.

… überwinden!

Vielleicht ist es an der Zeit, diese Angst zu benennen und zu hinterfragen. Wir Menschen haben uns im letzten Jahrzehnt offen gezeigt für die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung. Und wir werden das weiter müssen. Sich nach einem Jahrzehnt des digitalen Freudentaumels nun auch wieder offen für Kritisches oder Grenzen der Digitalisierung zu zeigen, ist angezeigt. Es wird Zeit, eine kritische Sicht auf die Digitalisierung als modern und richtig zu deklarieren. Folglich ist auch ein kritischer Blick auf die kindliche Mediennutzung willkommen und fortschrittlich.

Nur Mut!

Der kritische Blick kann auch befreien. Wer mit Recherche beginnt, wird erkennen, dass viele Argumente für die sehr freie kindliche Mediennutzung in eher wirtschaftlichen Überlegungen begründet sind. Logisch, dass die Branche gerne jedem Kind ein paar Gerätchen verkauft. Verständlich auch, dass die Telecomanbieter jedem gerne ein Maxipaket an Diensten verkaufen. World unlimited bitte!
Wer sich an die Fachliteratur macht, wird technikaffine Menschen wie Christian Montag1 finden. Dieser ist nach Würdigung der vorliegenden Studien der Meinung, dass sich bei Kindern Warten lohnt. Besser, wenn die draussen wilde Spiele treiben.
Wer sich mit anderen Eltern im Vertrauen unterhalten kann, wird feststellen, dass viele Medienprobleme haben. Es ist Zeit, eine breiten und damit eben auch einen kritischen Blick auf die kindliche Mediennutzung zu rehabilitieren.


  1. Spannende Beiträge finden Sie im gut lesbaren Buch „Homo-Digitalis“ []